Niedrigwasser legt Flotte Weser lahm – Edersee nur noch zu 20 Prozent gefüllt
Niedrigwasser legt Flotte Weser lahm – Edersee nur noch zu 20 Prozent gefüllt
Höxter, Holzminden, Bodenwerder. Das Fahrgastschiff „Höxter“ liegt still. Kein Motorengeräusch, kein Ablegen, kein Ausflugsverkehr auf der Oberweser. Was für Touristen ein enttäuschendes Sommererlebnis ist, hat ernste Gründe: Aufgrund des drastisch gesunkenen Wasserstands musste der gesamte Schiffsverkehr zwischen Höxter und Beverungen sowie auf den Rundfahrten in Holzminden und Beverungen eingestellt werden.
Ein Fluss hängt am Stausee – und der ist fast leer
Ursache für die Flaute liegt über 100 Kilometer entfernt im Mittelgebirge – am nahezu ausgetrockneten Edersee. Der führt derzeit nur noch rund 20 Prozent seines ursprünglichen Stauvolumens. Täglich verliert er fast 518.400 Kubikmeter Wasser. Um einen völligen Kollaps der Talsperre zu verhindern, wurde die Wasserabgabe drastisch reduziert: Seit Dienstag fließen nur noch sechs Kubikmeter pro Sekunde in Richtung Weser – das gesetzlich vorgeschriebene Minimum.
Die Folgen zeigen sich mit Verzögerung, sind nun aber deutlich spürbar: Der Pegel der Weser bei Höxter fiel innerhalb weniger Tage unter die Marke von 120 Zentimetern. Am Mittwoch wurden nur noch 100 Zentimeter gemessen. Für die Höxter und andere Fahrgastschiffe bedeutet das: kein sicheres Manövrieren mehr möglich.
Stillstand am Anleger – düstere Aussichten
Am Anleger in Höxter informiert ein Schild über den niedrigen Wasserstand – die Anlegestelle kann nicht mehr angefahren werden. Per Telefon können sich Reisende über alternative Zustiegsmöglichkeiten informieren. Die ernüchternde Auskunft: Aktuell finden keine Fahrten im Raum Holzminden statt. Auch der Schiffsbetrieb in Bodenwerder wurde am Mittwoch eingestellt.
Auf der Homepage der Flotte Weser ist zu lesen: Nicht betroffen vom Niedrigwasser sind die kleinen Wesertouren sowie die Eventfahrten auf der Weser in Hameln. Diese Fahrten finden weiterhin statt.
Die ‚Höxter‘ – als einziges Schiff der Flotte Weser speziell für geringe Wassertiefen geeignet – wurde rechtzeitig in den Hafen nach Hameln überführt. Kapitän Bodo Niemeyer, der das Schiff seit Jahren auf der Oberweser fährt, berichtet: „Die Höxter hat bei voller Auslastung mit Passagieren einen Tiefgang von etwa 70 Zentimetern. Bei dem jetzigen Wasserstand sind Fahrten im langsamen Tempo noch möglich – allerdings können die Fahrpläne unter solchen Bedingungen nicht mehr zuverlässig eingehalten werden, was zur Einstellung des Schiffsverkehrs führte.“
In Hameln staut ein Wehr die Weser auf, wodurch der Pegel stabil bleibt. Auf einem Abschnitt von etwa vier Kilometern können daher noch kleine Rundfahrten und Eventtouren angeboten werden. Niemeyer warnt jedoch: „Wenn – wie befürchtet – der Zufluss aus der Werra in den nächsten Tagen drastisch zurückgeht, könnte der Wasserstand der Weser auf bis zu 50 Zentimeter fallen. Dann ist auch ein Schiffsbetrieb zwischen Hameln und Minden nicht mehr möglich.“
Die Prognosen des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamts Weser sind kaum optimistischer: „Gebietsweise geringfügige Niederschläge“ – mehr ist in nächster Zeit nicht zu erwarten.
Die aktuellen Pegelstände betrugen am Mittwoch 1,03 m in Hann. Münden, 1,00 m in Höxter und 1,27 m in Bodenwerder. (pegelonline.wsv.de)
Ein technisches Meisterwerk in der Krise
Die Edertalsperre, zwischen 1908 und 1914 vom Preußischen Wasserbauamt errichtet, zählt zu den größten und bedeutendsten Talsperren Deutschlands. Sie wurde gebaut, um in Trockenzeiten den Wasserstand der unteren Weser zu regulieren. Mit einem Stauvolumen von fast 200 Millionen Kubikmetern galt sie als technisches Meisterwerk – und ist es im Kern bis heute.
Doch ihre Geschichte ist auch eine von Zerstörung: In der Nacht vom 16. auf den 17. Mai 1943 wurde die massive Sperrmauer durch einen britischen Luftangriff mit speziellen Rollbomben im Rahmen der Operation „Chastise“ zerstört. Die folgende Flutwelle forderte über 60 Menschenleben. Der Wiederaufbau begann kurz darauf – auch unter Einsatz von Zwangsarbeitern.
„Atlantis“ taucht auf – wenn Geschichte sichtbar wird
Wie stark sich der Edersee zurückzieht, zeigt sich eindrücklich an den einst belebten Anlegestellen: Wo früher Ausflugsschiffe festmachten, hängen nun lange Stahlseile lose über staubtrockenen Grund. Die Anlegepunkte müssen mühsam an den sinkenden Pegel angepasst werden. Aus dem einst weiten See ist eine schmale Wasserfläche geworden.
Doch mit dem Wasser schwindet nicht nur die Gegenwart – es taucht auch Vergangenheit auf: Das sogenannte „Edersee-Atlantis“ wird wieder sichtbar. Der Rückgang des Wassers legt die Überreste versunkener Dörfer, Brücken und Kirchen frei:
Die Aseler Brücke (erbaut 1887–1890), deren Bögen nun aus dem Wasser ragen.
Die Dorfstellen Alt-Berich, Alt-Bringhausen und Alt-Asel mit Fundamenten, Mauern und Friedhöfen.
Der einst mit Betonplatten abgedeckte Friedhof „Gräberfeld“ bei Waldeck, bei der ehemaligen Ortschaft Berich, ist nun wieder begehbar.
Für Besucher ist dieser Blick in die Vergangenheit faszinierend – für die Menschen entlang der Weser jedoch ein bedrückendes Symbol.
Stillstand in der Region – wirtschaftliche und ökologische Folgen
Das Ausbleiben der Fahrgastschiffe betrifft nicht nur die Flotte Weser. Hotels, Cafés, Eisdielen und Ausflugsziele entlang der Oberweser sind auf den Flusstourismus angewiesen. Ohne Schiffe fehlen die Gäste, die Frequenz – das, was den Sommer wirtschaftlich trägt.
Zudem sind auch die ökologischen Folgen nicht zu unterschätzen: Flachwasserbereiche erwärmen sich schneller, der Sauerstoffgehalt sinkt, Fische und Kleintiere geraten in Stress. Ein ganzer Fluss kann so aus dem Gleichgewicht geraten.
Hoffen auf Regen – oder auf den nächsten Sommer?
Ob es in dieser Saison noch zur Rückkehr der Schifffahrt kommt, entscheidet allein das Wetter. Bis dahin bleibt das Fahrgastschiff „Höxter“ im Hafen in Hameln vor Anker.








