Die Evangelische Erlöserkirche in Boffzen: Eine Geschichte von Zerstörung, Glauben und Wiederaufbau
Boffzen. Am Tag des offenen Denkmals öffnet die Evangelische Erlöserkirche in Boffzen ihre Türen für Besucher, die nicht nur die architektonische Schönheit dieses Gebäudes erkunden, sondern auch tief in die bewegte Geschichte eintauchen können. Diese Geschichte ist geprägt von Zerstörung, Wiederaufbau und dem unerschütterlichen Glauben einer Gemeinde, die selbst die dunkelsten Stunden überstanden hat.
Die Ursprünge der Kirche reichen bis ins 9. Jahrhundert zurück, als sie vermutlich als Eigenkirche des Klosters Corvey gegründet wurde. Doch ihre Geschichte ist untrennbar mit den Wirren des Dreißigjährigen Krieges verbunden, der die Kirche in den 1640er Jahren an den Rand der Zerstörung brachte.
Im Jahr 1646, als der Krieg bereits seit Jahrzehnten tobte, erreichten schwedische Truppen unter der Führung von General Carl Gustaf Wrangel das kleine Dorf Boffzen. Die Soldaten, die zuvor bereits in der Region Fürstenberg verheerende Schäden angerichtet hatten, machten auch vor der Kirche in Boffzen nicht halt. Zu dieser Zeit war sie ein einfacher Holzbau, der den marodierenden Truppen schutzlos ausgeliefert war.
Die Soldaten verwüsteten die Kirche auf brutale Weise: Sie rissen den hölzernen Fußboden heraus, um damit eine Brücke über die nahegelegene Weser zu bauen. Dieser Akt der Zerstörung hinterließ das Gebäude in einem erbärmlichen Zustand. Doch die Schäden beschränkten sich nicht nur auf den Fußboden. Die gesamte Inneneinrichtung wurde geplündert und das Pfarrhaus wurde niedergebrannt. In den Aufzeichnungen wird berichtet, dass die Soldaten Türen, Fenster, Stühle, Bänke, den Altar, die Kanzel, das Uhrwerk und sogar die Glocken stahlen und in Huxar (Höxter) zum Verkauf anboten.
Ein besonders dramatischer Vorfall, der in dieser Zeit geschah, bezieht sich auf eine Bibel, die in der Kirche aufbewahrt wurde und einst von Johannes Aschauer, einem verstorbenen Amtmann, der Gemeinde gestiftet worden war. Inmitten der Verwüstungen warfen die Soldaten diese Bibel ins Feuer, doch die Bibel wollte nicht brennen. In den alten Aufzeichnungen wird dieser wundersame Vorfall folgendermaßen beschrieben:
„Man sagt auch, dass sie unter anderem eine Bibel des Johannes Aschauer, Alter Amtmann S. (seliger), ehemals in die Kirchen verehrt, auch ins Feuer geworfen haben. Dieselbe habe nicht brennen wollen, darüber sie sich sehr wunderten und befahlen, man solle sie wieder aus dem Feuer nehmen.“
Dieser Vorfall beeindruckte die Soldaten zutiefst und er blieb als symbolisches Ereignis im Gedächtnis der Gemeinde, die in dieser schwierigen Zeit Trost und Hoffnung daraus schöpfte.
Nach dem Krieg und den verheerenden Hochwassern der Weser in den Jahren 1682 und 1686, die die alte Kirche weiter geschwächt hatten, wurde beschlossen sie neu zu errichten. Der Boden der neuen Kirche wurde vier Fuß höher gelegt als in dem alten Gebäude, um künftigen Hochwassern besser standzuhalten.
Die massive Mauerwerksstruktur der neuen Kirche, wie in den Aufzeichnungen des ehemaligen Ortschronisten Otto Ahrens beschrieben, reichte sechs Fuß tief in die Erde und war über der Erde vier Fuß dick. Diese baulichen Maßnahmen stellten sicher, dass die Weser, die bei anhaltendem Regen oder schmelzendem Schnee oft über ihre Ufer trat, das Gebäude nicht mehr wie früher überfluten konnte.
Die Geschichte der Kirche ist auch eng mit ihren Glocken verbunden. Ursprünglich hatte die Kirche drei Glocken, die jedoch durch die Kriege des 20. Jahrhunderts stark dezimiert wurden. Während des Ersten Weltkrieges musste eine Glocke abgegeben werden und 1920 wurde eine weitere Glocke entfernt. Die verbleibenden Glocken wurden später durch Stahlglocken ersetzt, die jedoch im Laufe der Zeit zu rosten begannen. Im Jahr 1960 wurden schließlich alle Glocken durch Bronzeglocken ersetzt, die bis heute ihren vollen Klang, über das Dorf tragen. Das Handläuten wurde durch elektrische Läutemaschinen ersetzt, die seit 1986 von einer Schaltuhr gesteuert werden.







Auch der Kirchturm selbst, der 48 Fuß hoch ist, hat seine eigene Geschichte. Aufgrund finanzieller Engpässe wurde der Turm damals direkt auf das bestehende Mauerwerk gesetzt, was der Kirche eine einzigartige architektonische Note verlieh. Im Kriegsjahr 1916 wurde die Wetterfahne der Kirche von einem orkanartigen Sturm zerstört. Dachdecker August Raßmann und Schmiedemeister Friedrich Pöppe reparierten sie fachmännisch. Im Juli 1951 wurde der Kirchturm von einem Blitzschlag getroffen und schwer beschädigt. Sämtliche Instandsetzungsarbeiten wurden hier ebenfalls dem Dachdeckermeister August Raßmann übertragen. Dabei wurde die Wetterfahne gestrichen, die Kugel und Zifferblätter der Turmuhr durch Malermeister Paul Schuhmann vergoldet.
Ein besonderes Schmuckstück der Kirche ist der Glaskronleuchter, der im Jahr 1858 von den Glasbläsern der Beckerschen Glashütte in Rottmünde gefertigt wurde. Dieser Leuchter, ein Meisterwerk handwerklicher Kunst, erleuchtet noch heute den Kirchenraum und verleiht ihm eine besondere Atmosphäre. Er ist ein Zeugnis der traditionsreichen Glaskunst der Region und verbindet die Kirche auf einzigartige Weise mit der lokalen Geschichte.
Auch die musikalische Ausstattung der Kirche hat eine bemerkenswerte Geschichte. Auf Anregung des Predigers Berkhahn, der 1748 von Boffzen in die Andreasgemeinde in Braunschweig versetzt wurde, wurde die erste Kirchenorgel von dem Orgelbaumeister Kohlen aus Gottsbüren im hessischen Amte Sababurg erbaut. Diese Orgel kostete damals 140 Taler – eine beträchtliche Summe, die die Gemeinde gerne aufbrachte, um ihr Haus mit Musik zu füllen. Der erste Organist war der Sohn des Lehrers Gronau, der eigens für diese Aufgabe ausgebildet wurde.
Unter dem Chor, vor dem Altar, ist die junge Frau des Amtmanns Kotzebue aus Fürstenberg begraben. Sie war die Tochter des im April 1750 verstorbenen Kriegsrats Redeker aus Vlotho. Redeker, tief betroffen vom Tod seiner Tochter, schenkte der Kirche 100 Taler, damit von diesem Geld eine neue Kanzel und Prichen gebaut werden konnten – ein bewegendes Zeugnis von Liebe und Verlust.
Die Erlöserkirche in Boffzen, wie sie heute steht, ist nicht nur ein Ort des Glaubens, sondern auch ein lebendiges Zeugnis von Widerstandskraft, Gemeinschaft und Wiederaufbau. Am Tag des offenen Denkmals können Besucher diese faszinierende Geschichte hautnah erleben, die architektonischen Besonderheiten der Kirche entdecken und bis zu den großen Glocken im 48 Fuß hohen Turm vordringen, die das Dorf seit Jahrhunderten mit ihren Schlägen begleiten.




