Als Winnetou und Old Shatterhand nach Boffzen kamen
Karl-May-Festspiele in den 60er Jahren am Kathagenberg
Boffzen. Fast sechs Jahrzehnte ist es her, dass am Fuße des Kathagenbergs in Boffzen echtes Wildwest-Feeling herrschte: Winnetou ritt durch den Wald, Old Shatterhand zog den Henrystutzen – und ein Planwagen ging in Flammen auf. Es waren die Jahre 1964 und 1965, als eine Gruppe jugendlicher Abenteurer aus dem Weserdorf eine Idee in die Tat umsetzte, die bis heute in den Erinnerungen lebendig geblieben ist: die „Boffzer Karl-May-Festspiele“.
Nun erinnert der neu erschienene zweite Band der Reihe „Karl May auf der Bühne“, herausgegeben vom Karl-May-Verlag in Bamberg, auch an diese einmaligen Theateraufführungen. Die Autoren Nicolas Finke und Reinhard Marheinecke schildern darin die Entwicklung der Karl-May-Bühnen im deutschsprachigen Raum – von Elspe bis Boffzen.
Wildwest auf der Waldbühne
Die Weser Solling News hat sich auf Spurensuche begeben – und fand sie: die Erinnerungen von Hans-Joachim Krosta, einem der damaligen Darsteller. 1964 war er 14 Jahre alt und Teil der rund 20-köpfigen Jugendgruppe der Kyffhäuserkameradschaft. Ihr Jugendleiter war niemand Geringeres als der Dorfpolizist Karl-Heinz Helling, der sich als unermüdlicher Regisseur, Ausstatter – und Hauptdarsteller – engagierte.
Krosta blättert heute, 74-jährig, in seinem alten Fotoalbum: „Unsere großen Helden waren Winnetou, Old Shatterhand, Sam Hawkens und Hobble-Frank. Die Filme liefen im Kino, wir wollten das nachspielen – aber auf unsere eigene Weise.“
Was folgte, war echte Pionierarbeit: Zwölf Jungen schrieben ein eigenes Manuskript auf Basis von *Winnetou I*, suchten sich Rollen aus, probten – und bauten aus einem Hochwasserschutzwall vor der Kennedy-Brücke eine Zuschauertribüne. Im angrenzenden Wald entstand die „Waldbühne“, samt selbstgebautem Holzhaus als Farm-Kulisse und einem umfunktionierten Planwagen, den sie von einem Bauern erhielten.
Die Kostüme? Improvisation pur. Felle vom Kaninchenzüchter wurden zu Biberpelzen, Hanf wurde gefärbt und zu Indianerperücken verarbeitet. Die „Farmer-Outfits“ stammten aus den Kleiderschränken der Eltern. Selbst Pfeil und Bogen bauten die Jungen selbst.
Feuer, Pfeile – und echte Begeisterung
Geprobt wurde abends im Vereinslokal „Zum Weißen Ross“ – und natürlich im Wald. Jeder Darsteller hatte zwei Rollen: Krosta etwa spielte einen Indianer und einen Siedler – inklusive blitzschneller Kostümwechsel in der selbstgebauten Hütte.
Im August 1964 war es dann so weit: Zwei Aufführungen an einem Wochenende – angekündigt durch große Plakate im ganzen Ort. Rund 100 Sitzplätze hatten die Jugendlichen aus Bohlen auf dem Damm gezimmert, weitere 100 Zuschauer standen drumherum.
Auf der Bühne: Häuptling Mockachy, gespielt von Helling, der sich mit Winnetou und Old Shatterhand um das Land der Sioux stritt. In einer dramatischen Szene stürmten die „Indianer“ den Hang des Kathagenbergs hinab, Pfeile flogen, der Planwagen wurde in Brand geschossen – ein echter Gänsehautmoment.
Eine Isetta als Scheinwerferwagen
Die Begeisterung war so groß, dass die Gruppe 1965 erneut auftrat – diesmal mit einer Geschichte angelehnt an „Winnetou II“. Neu dabei: eine Abendvorstellung mit „Scheinwerferlicht“. „Wir trugen die kleine BMW Isetta unseres Jugendleiters den Hang hinauf, tarnten sie mit Zweigen, ließen nur die Scheinwerfer frei – das war unsere Beleuchtung“, lacht Krosta heute.
Auch in der zweiten Inszenierung drehte sich vieles um Kämpfe, Gefangennahmen und Indianergeheul. Bei einem der Gefechte wurde Helling von einem „Hobble-Frank“ am Kopf getroffen – eine unfreiwillige, aber folgenlose Verletzung.
Das Ende einer Ära
Nach dem Sommer 1965 verstummte das Indianergeheul im Boffzer Wald. Die Jugendlichen gingen auf weiterführende Schulen, begannen Ausbildungen – und die Gruppe löste sich auf. Die Natur holte sich die Bühne zurück. Heute ist das Gelände am Kathagenberg ein geschütztes Naturschutzgebiet, Bäume und Büsche verdecken die Spuren einer Zeit, in der Winnetou und Old Shatterhand für ein paar Sommerabende in Boffzen lebendig wurden.







